Berliner Zeitung 31.01.2003
Erzbistum streicht rund 500 Stellen
Kardinal Sterzinsky: Kirche ist hoch verschuldet
Marlies Emmerich
Das Erzbistum Berlin steckt in einer bisher nie gekannten Finanzkrise.
Wie Georg Kardinal Sterzinsky am Donnerstag sagte, belaufen sich die
Schulden der katholischen Kirche auf insgesamt fast 150 Millionen Euro
- etwa doppelt so hoch wie bisher vermutet. Nach vorläufigen Untersuchungen
der Unternehmensberatung McKinsey müssen bis zum Jahr 2006 insgesamt
515 von 2 700 Vollzeitstellen gestrichen werden. "Es ist unwahrscheinlich,
dass auf Kündigungen verzichtet werden kann", sagte der Kardinal.
Betroffen seien insbesondere Beschäftigte der zentralen Verwaltung,
der Seelsorge und in den Pfarrgemeinden; unter anderem Priester, Diakone,
Küster, Organisten und Pfarrsekretärinnen. Zu den ersten Konsequenzen
der Finanzmisere gehört, dass es kein Weihnachtsgeld mehr gibt.
Die Kirche prüft, ob es möglich ist, Lohn- und Gehaltssteigerungen
vorübergehend auszusetzen. Der Kardinal schließt nicht aus,
dass Kirchen anderen Religionsgemeinschaften zur Nutzung übertragen
werden: "Das soll aber die Ausnahme bleiben." Fest steht,
dass Bildungshäuser schließen, Gemeinden schneller als geplant
fusionieren. Das Erzbistum trennt sich von nicht kirchlich genutzten
Mietshäusern.Nach Angaben des Erzbischofs muss die Kirche aktuell
vor allem den Verbindlichkeiten bei Bankinstituten von 104 Millionen
Euro und Zins- und Tilgungsleistungen bei der Caritas in Höhe von
22 Millionen Euro nachkommen. Lediglich bei dem Pensionsfonds für
Mitarbeiter, wo weitere 22 Millionen Euro fehlen, hofft Kardinal Sterzinsky,
dass diese Lücke über einen längeren Zeitraum geschlossen
werden kann. Bei den Personalkosten sieht der Kardinal Sparmöglichkeiten
von 75 Stellen, wenn alle Tarifsteigerungen wegfallen. Die Kirche denkt
zudem über Arbeitszeitverkürzungen, Vorruhestandsregelungen
oder Abfindungen nach. Bis zum Spätsommer soll ein konkretes Finanzkonzept
vorliegen. Mehr als zwei Drittel der Sparsumme muss bis Ende des Jahres
2004 erreicht sein. "Wir hoffen auf die Unterstützung durch
die katholische Kirche in Deutschland", sagte er. Generell verlange
die dramatische Lage ein Überdenken aller Aufgaben: "Wir müssen
uns fragen, in welchen Bereichen die Kirche noch mit einem Angebot präsent
sein kann."
Berliner Tagesspiegel 31.01.2003
Katholische Kirche entlässt 440 Mitarbeiter
Erzbistum hat 148 Millionen Euro Schulden. Kardinal hofft auf die Hilfe
der anderen Diözesen
Von Martin Gehlen
Die finanzielle Lage des Erzbistums Berlin ist so katastrophal, dass
in den kommenden vier Jahren zwischen 15 und 20 Prozent der Mitarbeiter
entlassen werden müssen. Wie Kardinal Georg Sterzinsky am Donnerstag
erläuterte, belaufen sich nach Berechnungen der Unternehmensberaterfirma
McKinsey die Schulden auf insgesamt 148 Millionen Euro. Das ist doppelt
so hoch wie bislang aus den offiziellen Daten zur Kreditaufnahme ersichtlich,
die in den kirchlichen Amtsblättern veröffentlicht worden
waren.
„Im Klartext – wir befinden uns in der Schuldenfalle und
müssen jedes Jahr weitere Kredite aufnehmen, um die Haushaltslücke
zu schließen“, sagte Sterzinsky und kündigte drastische
Sparmaßnahmen an. Das Erzbistum werde 440 seiner 2700 Vollzeitstellen
abbauen müssen. Weitere 75 Mitarbeiter müssten gekündigt
werden, wenn die Kirche die kommenden Tariferhöhungen mitmachen
müsse und ihren Angestellten nicht auf weiteres das Weihnachtsgeld
streichen könne. Dies werde im Augenblick juristisch geprüft.
Sowohl im Erzbischöflichen Ordinariat wie auch in allen Bereiche
der Seelsorge fallen Stellen weg. In den Gemeinden müssten „die
Personalbestände grundlegend überdacht werden“, sagte
der Kardinal. Das betreffe Priester, Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferenten
genauso wie Küster, Hausmeister, Pfarrsekretärinnen, Organisten
und Reinigungskräfte. Offenbar müssen die Gemeinden zunächst
300 Stellenstreichungen verkraften und das Ordinariat und seine Abteilungen
140 Stellen. Die drei kirchlichen Bildungshäuser in Kladow werden
geschlossen. Kürzungen bei der Katholischen Akademie wollte der
Kardinal ebenso nicht ausschließen wie die Streichung von Religionsunterricht
an einzelnen Schulen.
Um die Neuverschuldung, die im Augenblick bei 13 Millionen Euro liegt,
in den kommenden Jahren auf Null zu bringen, braucht Berlin beträchtliche
Finanzhilfen von den anderen deutschen Diözesen. „Aus bistumseigener
Kraft wird diese Entschuldung nicht alleine zu schaffen sein“,
sagte Sterzinsky, der als Oberhirte diese in der Geschichte der katholischen
Kirche Deutschlands beispiellose Misere zu verantworten hat. Die Gespräche
mit den anderen Diözesen sollen heute beginnen. Finanzzusagen gibt
es nicht. Sollten sie nicht in der erhofften Höhe erfolgen, muss
Berlin noch wesentlich mehr Mitarbeiter entlassen. „Wir haben
jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt“, sagte Sterzinsky.
Auch wolle er seine Verantwortung nicht in Abrede stellen. Er denke
jedoch nicht an Rücktritt. Gegenüber leitenden Mitarbeitern
hatte der Kardinal vor einige Wochen geäußert, dass der Vatikan
damit drohe, ihm einen so genannten Koadjutor zur Seite zu stellen und
ihn zu entmachten, wenn er das Schuldenproblem nicht in den Griff bekomme.