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AK-Magazin 01/1999

 

Im Laufe der Jahre läuft einem so manches über den Schreibtisch. Am häufigsten Beschwerden, deren Zahl von Jahr zu Jahr steigt. Die Klagen kommen keineswegs nur aus dem Personenkreis der ständig überlasteten, sich vom Dienstgeber übergangenen fühlenden und häufig frustrierten Mitarbeitervertretungen. Zunehmend suchen auch ausgebrannte, sich ausgenutzt und betrogen fühlende, gemobbte, unzufriedene und demotivierte Mitarbeiter Rat - darunter auch leitende, zur Leitung bestellte oder sich zur Leitung berufen fühlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Was ist nur los in vielen caritativen Einrichtungen? Woher das große allseitige Wehklagen? Warum häufen sich gerade in letzter Zeit in erheblichem Umfang in caritativen Einrichtungen gravierende arbeitsrechtliche Verstöße? Warum ist die Caritas-Welt nicht mehr in Ordnung (wenn sie es jemals war)?

Liegt es an empfindlichen und verwöhnten Mitarbeitern? Liegt es an den unter ihrer Bürde leidenden leitenden Angestellten? Liegt es an von Problemen umzingelten und überforderten Geschäftsführern? Oder liegt es an den ehrenamtlichen Vorständen, die zwar ehrenwert, jedoch von den immer komplizierter und komplexer werdenden Alltagsproblemen der sozialen Arbeit sehr, sehr weit entfernt sind? In welche Richtung fährt der Caritas-Zug und was ist zu tun?

Fragen über Fragen, auf die ich in meiner sicher begrenzten Sichtweise im Nachstehenden Antwort zu finden versuchen werde. Antworten, die ebenso sicher nur Teile einer komplexen Entwicklung verdeutlichen können.

War in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wohlfahrts verbänden durch die maßgebenden Gesetze klar geregelt und die Vorrangstellung der freien Wohlfahrtspflege fest verankert, so ist es in den letzten Jahren unter einer liberal-konservativen Bundesregierung mit ihrem "neoliberalistischen Wirtschaftsverständnis"- (der Markt ist alles, der Staat ist nichts) - zu einem ständigen Abbau dieser Vorrangstellung gekommen. Das weite Feld des milliardenschweren "Sozialmarktes" wurde geöffnet, um auch privaten und kommerziellen Anbietern Zugang zu ermöglichen. Unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Krise des Staates und der zahllosen Haushaltslöcher in den Staatskassen (Stichwort Massenarbeitslosigkeit und Steuerflucht der Wohlhabenden) wurde gerade im Sozialbereich der Rotstift angesetzt (Deckelung von Pflegesätzen). Es wurden und werden neue Finanzierungsmechanismen (siehe § 93 BSHG) mit differenzierten Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinbarungen eingeführt. Begriffe wie "Wirtschaftlichkeit" und "Qualität" im Rahmen der angebotenen Sozialleistungen werden von den staatlichen Finanziers in den Mittelpunkt ihrer Ausführungsbestimmungen gestellt.

Im caritativen Bereich kommt erschwerend hinzu, daß sich auch die verfaßte Kirche angesichts rückläufiger Steueraufkommen zunehmend aus der Bezuschussung sozial-caritativer Einrichtungen zurückzieht.

Mit der Einführung neuer Gesetze, wie etwa dem Pflegegesetz, wurden zusätzlich neue Märkte erschlossen bzw. bestehende Märkte erweitert. Vom "Kuchen des Sozialmarktes" wollen - wie vom Gesetzgeber auch gewollt - immer mehr Anbieter ihren Teil abbekommen. Entsprechend den Gesetzen des freien Marktes sollen sich nach den Vorstellungen der neoliberalen Vordenker auch im Sozialbereich Angebot und Nachfrage regulieren - und im Rahmen einer "gesunden Konkurrenz" auch die "Preisgestaltungsfragen" lösen.

In der Tat hat sich in den letzten Jahren auch eine stattliche Anzahl von "Billiganbietern" in verschiedenen Bereichen der Sozialarbeit etabliert - billiger meist deshalb, weil keine Tariflöhne bezahlt und Tarifbestimmungen umgangen werden und weil vielfach auf das Instrumentarium der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse (Geringverdiener) zurückgegriffen wird. Mit der Differenzierung der Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen erfolgt zunehmend eine Bürokratisierung der Sozialarbeit durch erschwerte Berechnungs-, Antragstellungs-, Dokumentations- und Kontrollverpflichtungen. "Formblattgestalter" treiben mittlerweile ein in solchem Ausmaß noch nie dagewesenes Unwesen.

Aus dem Bereich der ambulanten und stationären Pflege wird berichtet, daß bis zu einem Viertel der Arbeitszeit allein für Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen benötigt wird. Eine Fehlentwicklung, die u.a. auch den Paritätischen Wohlfahrtsverband veranlaßt hat, eindringlich eine Überprüfung diesbezüglicher Gesetzes- und Ausführungsbestimmungen zu fordern.

Bereits dieser begrenzte Ausschnitt aus den veränderten Rahmenbedingungen zeigt die völlig umgekrempelte Situation auf dem "Sozialmarkt". Es stellen sich Herausforderungen, an die man in der guten alten Zeit der festzementierten "Vorrangstellung" niemals gedacht hat, auf die man nicht vorbereitet war und auf die man häufig in allen Wohlfahrtsverbänden nur unzureichende oder sogar falsche Antworten hat. Allzuvieles haben alle Wohlfahrtsverbände akzeptiert und hingenommen, allzu rasch haben sie sich den neuen Gegebenheiten gebeugt und haben auch unstimmige und unsinnige Bestimmungen vollzogen. Werden dann noch Prüfvereinbarungen (wie etwa die Dokumentationspflicht in der ambulanten Pflege) zu Personalkontrollinstrumenten pervertiert, so trägt man dadurch nicht gerade zur Stabilisierung einer Einrichtung bei.

Gerade im caritativen Bereich sind viele Dienstgeber blindlings in die "Marktfalle" - wie es Prof. Friedhelm Hengsbach ausdrückt - gestolpert und haben sich widerstandslos dem politischen Diktat gebeugt. Und jetzt wird versucht, die u.a. durch die enger werdenden finanziellen Spielräume verursachten Probleme einseitig auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu lösen. Nur so ist zu erklären,

  • daß auch in unserer Diözese zunehmend Arbeitsplätze auf Geringverdienerbasis angeboten werden,
  • daß reguläre Arbeitsplätze in Geringverdiener-Jobs umgewandelt werden,
  • daß dies häufig ohne einen nach Anlage 18 zu den AVR zwingend vorgeschriebenen Dienstvertrag geschieht,
  • daß unter dem angeblichen Diktat finanzieller Engpässe, gepaart mit dem Unvermögen einer sinnvollen und arbeitsrechtlich abgesicherten Dienstplangestaltung, haarsträubende Dienstvereinbarungen über Flexibilisierung von Arbeitszeit vorgelegt werden, die bei konsequenter Anwendung zum Ruin der Einrichtung führen würden,
  • daß arbeitsrechtliche Bestimmungen, wie etwa die Überstundenregelung und -vergütung nach den Anlagen 6 und 6a zu den AVR völlig außer Kraft gesetzt werden,
  • daß Kündigungen und Änderungskündigungen ohne Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen, geschweige denn unter Beteiligung der Mitarbeitervertretung, ausgesprochen werden,
  • daß es unter Mißachtung des Arbeitszeitgesetzes, der diesbezüglichen AVR-Bestimmungen und der MAVO unzulässige oder gar falsche Dienstpläne geschrieben werden,
  • daß bei Einstellungen bevorzugt befristete Dienstverträge angeboten werden, wobei dies häufig auch noch ohne Rechtsgrundlage geschieht,
  • daß Eingruppierungen vorgenommen werden, die jeden Bezug zu den AVR vermissen lassen und die vor keiner Schlichtungsstelle und keinem Arbeitsgericht Bestand hätten,

wenn, ja wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur die ihnen zustehenden Rechte in Anspruch nehmen würden.

So mancher Dienstgeber scheint die verbindlich vereinbarten AVR mit "Grimms Märchen" zu verwechseln, aus denen man je nach Lust und Laune freie Auswahl hat.

Die immer wiederkehrenden Hinweise auf die rechtliche Unkenntnis und mangelhafte Schulung können die geschilderten Vorgänge nicht entschuldigen - sie machen die Situation eher noch bedenklicher. Denn Gleiches passiert im Umgang mit den Bestimmungen und Beteiligungsrechten der gültigen Mitarbeitervertretungsordnung, immerhin einem vom Bischof in Kraft gesetzten Recht. Daß in etlichen anderen Diözesen der "tarifliche Wildwuchs" bei caritativen Trägern und Einrichtungen noch gravierender ist, kann da auch nicht trösten.

Einrichtungen und Träger, die "Tarifflucht" und "Tarifmißbrauch" praktizieren, beteiligen sich dadurch maßgebend und konsequent an der Zerstörung der AVR als caritaseinheitlichem Arbeitsvertragsrecht. Und dies führt innerhalb der Mitarbeiterschaft zu Unruhe, Unzufriedenheit, Ärger, Resignation, Demotivation und innerer Kündigung.

Dies ist der falsche, den Grundsätzen der katholischen Soziallehre widersprechende Weg! Besinnung und Umkehr ist dringend geboten.

Denn angesichts veränderter Rahmenbedingungen sind auch die Anforderungen in den Sozialeinrichtungen selbst immer anspruchsvoller und komplexer geworden. Die veränderte und erschwerte Aufgabenstellung betrifft gleichermaßen Mitarbeiter und Leiter sozialer Einrichtungen. Die Bewältigung dieser Anforderungen setzt immer mehr spezialisiertes Fachwissen auf einzelnen Gebieten voraus, das nach Koordination und Organisation verlangt, wenn das "Ganze" überhaupt noch funktionieren soll.

Aber was erleben wir dagegen häufig in der Alltagspraxis? Anstatt die Fähigkeiten und berufsspezifischen Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen einer ordentlichen Organisationsstruktur zu nutzen, wird oftmals unter einem verkrusteten Hierarchiedenken eine Kommandostruktur von Befehl und gehorsamer Ausführung aufrecht erhalten. Selbständiges Denken und Handeln der Mitarbeiter ist vielen Leitern ein Greuel, und - zugegeben - einer großen Anzahl von Mitarbeitern auch, wenn sie über lange Jahre hinweg nichts anderes erlebt und kennengelernt haben. Doch dies ist ebenfalls der falsche Weg. Mit derart veralteten Instrumentarien kann man die Herausforderungen der jetzigen Zeit nicht bestehen. Teamarbeit ist angesagt, und nicht Befehle von einem durch seine Aufgabenfülle schier erdrückten Leiter. Das Modell eines allein entscheidenden und bestimmenden "Steuermannes" mag vielleicht in Zeiten des Aufbaus des Sozialnetzes angebracht gewesen sein. Heute dagegen sind Fähigkeiten wie Personalführung, Koordinationsgeschick, Delegation von Aufgaben, Verteilung von Kompetenzen, Struktursetzung und Motivationstalent angesagt, um das Erreichte zu erhalten und weiterzuentwickeln. Der sich allwissend wähnende Leiter stirbt aus - spätestens dann, wenn er innerlich ausgebrannt an seinen "versteckten Defiziten" verzweifelt.

Was Auswahl und Qualifizierung von leitenden Mitarbeitern betrifft, kommt somit der Geschäftsführung eines Verbandes und seiner Vorstandschaft eine enorme Verantwortung zu. Zur Leitung einer Sozialeinrichtung gehört mehr als nur angelesenes Wissen oder das Vorhandensein einer genehmen "kirchlichen Biographie".

Das wird unmittelbar einsichtig, wenn man sich etwa eine Werkstatt für Behinderte vorstellt, mit all ihren vernetzten Anforderungen im Rahmen der Förderung und Betreuung behinderter Menschen, der Produktion, der Qualitätssicherung, der Arbeitssicherheit, der Elternarbeit, der Lohnstruktur, der Kostendeckung, der Zusammenarbeit mit Behörden und Kostenträgern, mit Pflege-, Wohnpflege- oder Altenheimen mit ihrem pflegeaufwendigen Klientenkreis und ihrem qualifizierten Mitarbeiterstamm und den damit verbundenen Anforderungen an eine ausgewogene und gekonnte Dienstplangestaltung - um nur einige der Variablen zu nennen.

Mit den oben angedeuteten Fähigkeiten den Rahmen einer Einrichtung zu erfassen und zu koordinieren, das ist die Aufgabe eines Leiters - und dies geht nicht ohne ständige Qualifizierung und Fortbildung.

Wenn ein Leiter nur noch schriftlich mit "seinen" Mitarbeitern kommuniziert, wenn er sich nur noch in sein Kämmerlein verkriecht, wenn er Wesentliches von Unwesentlichem nicht mehr zu unterscheiden vermag, wenn er seine eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfüllt, wenn er seine vermeintliche "Macht" nur noch um der Macht willen einsetzt, wenn sich sein "Handwerkszeug" nur noch auf Kontrolle, Ausgrenzung und Einschüchterung beschränkt, dann ist es allerhöchste Zeit, daß der Träger seine Verantwortung wahrnimmt und eingreift. Tut er das nicht, gefährdet er nicht nur das Funktionieren einer Einrichtung, sondern auch deren Existenz.

Ständige Qualifizierung und Fortbildung ist natürlich nicht nur für Führungskräfte notwendig, sondern für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber gerade in diesem elementar wichtigen Bereich erleben wir angesichts der oben geschilderten "finanziellen Engpässe" die Auswirkungen des Rotstiftes. Kann es sich ein Wohlfahrtsverband leisten, derart mit seinem "Vermögen", seinen engagierten und motivierten Mitarbeiter umzugehen?

Daher meine Forderung:

  • Unterstützen wir doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer fachlichen, persönlichen und religiösen Weiterbildung!
  • Beteiligen wir doch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den ihr jeweiliges Arbeitsfeld betreffenden Ziel- und Entscheidungsfindungen!
  • Beschreiben wir doch klare Aufgaben, delegieren wir Kompetenzen und Verantwortung und ermöglichen wir dadurch eigenverantwortliches Handeln!
  • Fördern wir doch die Bildung von Mitarbeitervertretungen und deren Tätigkeit, wie es wörtlich im Leitbild des Deutschen Caritasverbandes steht!

Dann sind wir auf dem besten Wege, mit und nicht gegen die Mitarbeiter die anstehenden Probleme und Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft zu lösen! Und das große allseitige Jammern und Wehklagen wird zwar nicht gänzlich verstummen, aber sich auf ein erträgliches Maß beschränken.

H.P.Stolz

 

Weder repräsentativ noch Einzelfälle sind die Beobachtungen und Erfahrungen unseres Kollegen. Sie machen deutlich, daß die krisenhafte Zuspitzung der finanziellen Lage sozialer Einrichtungen deren Leitungen wie deren Mitarbeiter an ihre Grenzen stoßen läßt. Nicht wenige fühlen sich düpiert von gegensätzlichen Forderungen und Ansprüchen: Anwalt und Helfer für andere soll man sein, aber auch auf Lohn und Gehalt verzichten, um den Bestand der Einrichtung nicht zu gefährden. Und wer ist dann Anwalt und Helfer der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Ob der Dritte Weg geeignet ist, in sozialen Krisenzeiten den sozialen Ausgleich zu gewährleisten, darf nach den Erfahrungen im Bereich der Diakonie mit der Gehaltsabsenkung bei den Niedriglohngruppen bezweifelt werden. Der Beweis des Gegenteils durch bessere Lösungen steht im Frühsommer auf der Tagesordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission. Ob er gelingt? wbf

 

 

Der AVR-Kommentar:

Altersteilzeit für Vollbeschäftigte

Anlage 17 zu den AVR

 

Die AK hat mit Beschluß vom 22. Oktober 1998 - für alle nach dem 26. Juni 1997 getroffenen Altersteilzeitvereinbarungen mit Wirkung ab 1.5.1998 - die Aufstockungsbeträge auf 83% festgelegt und damit die Altersteilzeit für Caritasbeschäftigte etwas attraktiver gemacht. Da sich die Regelungen, die in Anlage 17 AVR, in der amtlichen Veröffentlichung in der "Caritas-Korrespondenz", im bischöflichen Amtsblatt oder im Schnellbrief des Deutschen Caritasverbandes nachzulesen sind, am Vorbild des Altersteilzeittarifvertrages des Öffentlichen Dienstes orientieren, kann auf die bereits vorliegenden kommentierenden Durchführungshinweise der Gewerkschaften und der Kommunalen Arbeitgeberverbände sowie auf die voraussichtlich im April 99 als Sonderheft der Caritas-Korrespondenz erscheinende Kommentierung des Referats Arbeitsrecht und auf andere Kommentierungen zum BAT verwiesen werden. Die nachfolgenden Ausführungen sind daher als vereinfachte Darstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu verstehen.

 

Grundkonzept des Altersteilzeitgesetzes

Der Zweck des am 1. August 1996 in Kraft getretenen Altersteilzeitgesetzes (ATG) besteht darin, Älteren durch einen gleitenden Übergang die Frühverrentung (Rente nach Altersteilzeit) zu ermöglichen, um dadurch Arbeitsplätze für Auszubildende nach der Ausbildung oder für beim Arbeitsamt gemeldete Arbeitslose zu schaffen. Die Konstruktion sieht so aus, daß

  • mit älteren Beschäftigten eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 50% der regelmäßigen Wochenarbeitszeit für mindestens 2 Jahre vereinbart wird, die sowohl als kontinuierliche Halbtagsbeschäftigung, als Aufteilung in Arbeits- und Freistellungsphasen im sog. Blockmodell wie auch in jeder anderen denkbaren Verteilung der Arbeitszeit abgeleistet werden kann,
  • der Dienstgeber den Arbeitslohn auf 83% des früheren Nettoentgelts aufstockt und zusätzliche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet, die seine Beschäftigten im Rentenfall so stellen, als hätten sie 90 % des früheren Vollzeitbruttoarbeitsentgelts erhalten. Die Zusatzversorgungskasse gewährt entsprechend erhöhte Zusatzrenten ohne gesonderte Umlagen.
  • Übernimmt der Dienstgeber nun Ausgebildete nach der Ausbildung oder stellt er sozialversicherungspflichtige Arbeitslose aus Anlaß des Übergangs seiner Beschäftigten in die Altersteilzeit auf deren oder einem durch Umsetzung frei gewordenen Arbeitsplatz ein, erstattet ihm die Arbeitsverwaltung die für die Altersteilzeiter zusätzlich gezahlten Rentenversicherungsbeiträge sowie die Aufstockungsleistungen, allerdings nur bis zur Höhe von 70% des früheren Nettoentgelts.

Die Altersteilzeitvereinbarung darf aber nicht davon abhängig gemacht werden, daß es dem Dienstgeber tatsächlich gelingt, den Arbeitsplatz wieder zu besetzen und die Erstattungsleistungen des Arbeitsamtes zu erhalten. Ist der Dienstgeber im Zweifel, ob die von ihm geplanten Personalmaßnahmen vom Arbeitsamt akzeptiert werden, kann er sich durch einen Antrag auf Vorausentscheidung Sicherheit verschaffen.

Obgleich Personalabbau durch Altersteilzeit weder der Absicht des Gesetzgebers noch den Vorstellungen der AK-Mitglieder entspricht, ist er nicht verboten. Experten haben aufgezeigt, daß im Blockmodell sogar eine befristete Wiederbesetzung von eineinhalb Jahren mit dem Altersteilzeitgesetz vereinbar ist. (Näheres siehe NZA 98, Seite 918).

 

Wer ist altersteilzeitberechtigt?

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Vollzeit und solche mit durchschnittlich mindestens 36 Wochenstunden (West) bzw. 37,5 Wochenstunden (Ost) mit AVR- Dienstvertrag, die das 55. Lebensjahr und eine Beschäftigungszeit bei ihrem

Dienstgeber (vgl.§ 11 AVR und AK- Magazin Nr.9 von September 1998) von 5 Jahren vollendet haben, können einen Antrag auf Altersteilzeit stellen.

Innerhalb der letzten 5 Jahre müssen sie - nicht notwendig bei ihrem Dienstgeber - mindestens 3 Jahre "Vollzeit" im obigen Sinn gearbeitet haben.

Anträge von über 63-jährigen entsprechen weder der Zielsetzung, vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, noch kann dieser Personenkreis die Voraussetzung "zwei Jahre Altersteilzeit" für die entsprechende Rentenart erfüllen. Antragsteller müssen daher mit einer Ablehnung ihres Antages rechnen.

Die Antragstellung ist freiwillig, niemand kann dazu gezwungen werden.

 

Teilzeitkräfte?

Nachdem der Gesetzgeber zugelassen hat, daß neben Vollzeitbeschäftigten (mit 38,5 bzw. 40 Wochenstunden) auch Beschäftigte mit einer um 2,5 Stunden reduzierten Wochenarbeitszeit altersteilzeitberechtigt sind, fragen sich manche, warum die sonstigen Teilzeitkräfte von der Möglichkeit ausgeschlossen sind, über Altersteilzeit vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Nicht nur die Gewerkschaften sehen in deren Ausschluß eine nach europäischem Gemeinschaftsrecht unzulässige (mittelbare) Diskriminierung weiblicher Beschäftigter. Die Tarifpartner des Öffentlichen Dienstes haben daher vereinbart, im Falle einer die Gewerkschaftsauffassung bestätigenden Gerichtsentscheidung nachzuverhandeln.

Dessen ungeachtet können auch Teilzeitkräfte ihre Arbeitszeit durch Vereinbarung mit dem Dienstgeber so verteilen, daß freie Blöcke entstehen. Sie sollten zusätzlich festlegen, daß Aufstockungsleistungen bei entsprechender Rechtsänderung gewährt werden.

 

Renteneinbußen für Altersteilzeiter?

Am Ende der Altersteilzeit steht nach derzeitiger Rechtslage eine gekürzte Rente. Eine geringfügige Kürzung beruht darauf, daß die Rentenversicherungsbeiträge und die Zusatzversorgung während der Altersteilzeit auf 90 % reduziert wurden. Eine drastischere Kürzung jedoch droht häufig aufgrund der Rentenabschläge, die der Rentenversicherungsträger grundsätzlich bei vorgezogenen Altersrenten vorzunehmen hat. Der individuelle Rentenabschlag richtet sich entweder nach allgemeinen oder nach besonderen - auf den Rentenfall Altersteilzeit bezogenen - Abschlags-tabellen. Zusätzlich bestehen sog. Vertrauensschutzregelungen.

Altersteilzeitwilligen ist dringend zu empfehlen, beim für sie zuständigen Rententräger um eine Rentenauskunft zu bitten, bevor sie einen Antrag auf Altersteilzeit stellen. Antragsvordrucke für die Rentenauskunft gibt es beim Rententräger, bei Versicherungsämtern sowie den kommunalen Verwaltungsstellen. Die genannten Stellen nehmen die Anträge auch entgegen und beraten über beizufügende Unterlagen.

Die erhaltene Rentenauskunft sollte dann über den Dienstgeber der zuständigen Zusatzversorgungskasse zugeleitet werden, um einen möglichst genauen Überblick über die zu erwartenden Alterseinkünfte zu erhalten.

Angesichts der kaum mehr zu zählenden rentengesetzlichen Verschlechterungen in den letzten Jahren dürften in aller Regel weder der Dienstgeber noch die Mitarbeitervertretungen in der Lage sein, genaue Auskünfte zu Rentenhöhe und Rentenart zu geben. Um jede Haftung zu vermeiden, sollten Dienstgeber und Mitarbeitervertretungen auf die offi-ziellen Auskünfte verweisen, bevor eine Vereinbarung über Altersteilzeit geschlossen wird.

Die Altersteilzeitvereinbarung bedarf der Schriftform; Vordrucke werden demnächst vom Lambertusverlag zur Verfügung gestellt, frei formulierte Verträge sind zulässig.

 

Beginn und Dauer der Altersteilzeit

Beginn und Ende der Altersteilzeit können grundsätzlich frei vereinbart werden, der Gesamtzeitraum kann 10 Jahre, also die Zeit vom vollendeten 55. bis zum vollendeten 65. Lebensjahr umfassen (mit Vollendung des 65. Lebensjahres enden das Dienstverhältnis nach § 19 Absatz 3 AVR und der Anspruch auf Förderleistungen nach dem ATG). Es dürfte aber nur selten gelingen, eine Dauer zu vereinbaren, die über 5 Jahren liegt, weil der Dienstgeber nur für höchstens 5 Jahre Erstattungsleistungen bekommen kann.

Die AVR legen in Übereinstimmung mit dem ATG fest , daß die Altersteilzeit vor dem 1. August 2004 angetreten werden muß. Nach allgemeinen Grundsätzen muß somit spätestens der 31. Juli 2004 als erster Tag der Altersteilzeit vereinbart werden. Die Fixierung eines genauen Termins als Beginn der Altersteilzeit schließt nicht aus, daß Zeitguthaben, die bereits vor Beginn der Altersteilzeit angespart wurden - beispielsweise aus Arbeitszeitkonten - mit berücksichtigt werden.

 

Ende der Altersteilzeit

Die Altersteilzeit endet grundsätzlich zum vereinbarten Zeitpunkt, der in der Regel zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr liegen wird. Durch einen individuell geschickt vereinbarten Endzeitpunkt, der regelmäßig identisch mit dem Ende des Dienstverhältnisses und dem Beginn der Rente sein wird, können Rentenabschläge gemindert oder ganz vermieden werden. So können Beschäftigte, die mit 60 Jahren ausscheiden möchten, im 5-jährigen Blockmodell den Rentenbeginn bis zum Alter von 62 1/2 hinausschieben, wer mit 62 1/2 ausscheiden will, kann den Rentenbeginn bis zum Alter von 65 Jahren aufschieben.

Automatisch endet das Dienstverhältnis - und damit auch das Altersteilzeitdienstverhältnis - zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Rente ohne Abschläge bezogen werden könnte. Dieser Zeitpunkt hängt von der Rentenart und dem Geburtsmonat ab; er kann der Rentenauskunft entnommen werden. Die Formulierung "könnte" bedeutet, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst verantwortlich und gut beraten sind, den Rentenantrag tatsächlich zu stellen, um einen nahtlosen Übergang ihrer Bezüge zu sichern.

Automatisch endet das Dienstverhältnis auch dann, wenn jemand Altersrentner ist, also eine Rente wegen Alters bezieht. Diese an sich selbstverständliche Folge kann aber nur eintreten, wenn die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einen Rentenantrag stellen bzw. gestellt haben. Tarifliche Sanktionen sind für den Fall einer vorzeitigen, nicht den Absprachen entsprechenden Rentenantragstellung nicht vorgesehen. Gleichwohl sind willkürliche, grundlose Rentenanträge nicht zu empfehlen.

Wer Rentenabschläge in Kauf nehmen will, wird den entsprechenden Zeitpunkt, zu dem das Dienstverhältnis endet, in der Altersteilzeitvereinbarung festlegen. Als kleinen Ausgleich gibt es dann beim Ausscheiden eine Abfindung von bis zu drei vollen Monatsgehältern.

Endet das Altersteilzeitverhältnis durch Tod, stehen die offenen Arbeitsentgeltansprüche den Erben zu.

 

Welche Antragsfristen sind einzuhalten?

§ 2 Abs. (2) der Anlage 17 legt nur für die über 60-jährigen eine Antragsfrist von drei Monaten fest, von der einvernehmlich abgewichen werden kann. Hieraus ist nicht zu schließen, daß für Jüngere keine Fristen in Betracht kommen. Der Dienstgeber kann im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens Fristen festlegen, aber auch darauf verzichten. Jeder Altersteilzeiter tut gut daran, seine Absichten möglichst frühzeitig kundzutun, um dem Dienstgeber die Personalplanung zu erleichtern.

 

Wie hoch sind die Einkünfte der Altersteilzeiter?

Für die gesamte Altersteilzeit werden 83% des bei regelmäßiger Arbeitszeit zustehenden Vollzeitnettoarbeitsentgelts gezahlt. Der Blick in die monatliche (Vollzeit-) Gehaltsabrechnung ergibt für Selbstrechner nur dann ein relativ genaues Bild über die Altersteilzeiteinkünfte, wenn sich das Gehalt aus Grundvergütung, Ortszuschlag, allgemeiner Zulage und Anwesenheitsbereitschaftsdiensten zusammensetzt (83% hiervon). Kommen weitere Zuschläge/Zulagen u.ä. hinzu, wird es kompliziert. Das Nettoentgelt wird pauschal anhand von jährlich erneuerten, gerundeten Tabellenwerten ermittelt. Der Anspruch besteht auch dann, wenn der Dienstgeber keine Wiederbesetzung vornimmt oder aus anderem Grund keine Erstattungen vom Arbeitsamt erhält.

Achtung: Viele Berechnungsbeispiele legen die Steuerklasse 3 zugrunde und kommen dadurch auf die höchstmöglichen Nettobeträge. Für die anderen fünf Steuerklassen ergeben sich deutlich niedrigere Zahlungen. Im Zweifel sollte die Personalstelle um eine Probeberechnung gebeten werden. Es muß damit gerechnet werden, daß ein "unvernünftiger" Steuerklassenwechsel in die Steuerklasse 3, der nur vorgenommen wird, um höhere Aufstockungsbeträge zu erreichen, nicht akzeptiert wird.

Insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in stationären Einrichtungen, die im Blockmodell arbeiten, haben in der Arbeitsphase höhere Einkünfte zu erwarten als in der Freistellungsphase. Das liegt daran, daß steuerfreie Entgeltanteile (Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge), Überstunden/Mehrarbeit und Arbeit während der Rufbereitschaft nur in der Arbeitsphase, nicht aber in der Freistellungsphase anfallen und bezahlt werden.

 

Hinzuverdienst möglich?

Altersteilzeiter dürfen Arbeitseinkünfte bis zur Geringverdienergrenze von DM 620,--/520,-- monatlich haben, andernfalls ruhen die Aufstockungsleistungen. Das gilt vor allem für die Freistellungsphasen, ist aber auch in der Arbeitsphase zu beachten: Wer durch Überstunden/Mehrarbeit sein Monatseinkommen um mehr als 620/520 Mark brutto im Monat vergrößert, erhält nicht 83%, sondern nur noch 50% seiner Vollzeitbezüge!

Hat der Anspruch auf Aufstockungsleistungen während der gesamten Altersteilzeit zusammengerechnet 150 Tage geruht, erlöschen alle Ansprüche aus der Altersteilzeit endgültig. Selbstverständlich darf Mehrarbeit unter Hinweis auf die Rechtsfolgen abgelehnt werden, da der Dienstgeber schon aufgrund seiner Fürsorgepflicht - aber auch aus Eigeninteresse - darauf achten wird, daß die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wird.

 

Jetzt Altersteilzeit beantragen, oder die nächste (rot/grüne) Rentenreform abwarten?

Die neue Bundesregierung ist unter anderem mit der Absichtserklärung angetreten, die Rente ab 60 für alle ohne Abschläge zu ermöglichen. Dieses Ziel soll über Zahlungen aus Sonderfonds, also nicht über die Rentenkassen ermöglicht werden. Eventuelle Ansprüche gegen diese Fonds werden daher nicht auf bestehende Rentenansprüche angerechnet werden können, sondern die gesetzliche Rente erhöhen. Eine Regelung, die Altersteilzeiter von der Aufstockung ihrer Rente durch Sonderfonds ausschließt, ist kaum vorstellbar, weil Altersteilzeit ebenso wie die Sonderfonds Arbeitsplätze durch Lebensarbeitszeitverkürzung schaffen will.

Obwohl niemand vor Überraschungen sicher sein kann, meinen wir, daß niemand sich durch einen Antrag auf Altersteilzeit "jetzt" gegenüber einer zukünftigen Gestaltung der Alterseinkünfte verschlechtern, eher verbessern wird.

PS. Unser Freund Detlev Donner-Wetter meint dazu: Na ja, nur wer sich's leisten kann, packt die Altersteilzeit an!